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AutorenbildChristine Waitz

Alles aero? Warum die perfekte Radposition mehr als nur Aerodynamik ist

Dass Windjacke, flatternde Trikots und normale Straßenhelme aerodynamisch nicht optimal sind, das konnten Roy Hinnen und STAPS bereits im letzten Jahr beweisen. Beim Projekt AeRoy wurde damals deutlich, dass das System Mensch/Rad das größte Optimierungspotential aufweist. 

2018 geht das Projekt AeRoy in die zweite Runde. Dieses Mal widmen sich Roy Hinnen und die Experten von STAPS scheinbaren Kleinigkeiten. Im Fokus der Tests steht die Frage, ob der nur fünf Millimeter kleine Längenunterschied zwischen einer 175er Kurbel und 170er Kurbel die Aerodynamik beeinflusst.

Erster Schritt der Tests ist ein Pre-Fitting im STAPS gebioMized Conzeptlab in München. Im Labor wird Roy auf den Bahn-Test am Folgetag vorbereitet, indem seine Sitzposition optimiert wird. Das bedeutet: Das STAPS Team versucht zunächst eine biomechanisch ideale Ausgangslage herzustellen. In diesem Schritt geht es noch nicht darum, an der Aerodynamik zu feilen. Vielmehr soll Roy Hinnen so auf dem Rad sitzen, dass möglichst große Effizienz bei möglichst hohem Komfort und möglichst hoher Stabilität auf Dauer erzielt werden kann.


Zu Beginn steht die Suche nach der stabilsten Position


Beste Hinweise auf Effizienz und Komfort gibt die Druckverteilung auf den Kontaktstellen Sattel, Schuh und Armpad. Diese werden anhand von Druckmessfolien an den Kontaktstellen bestimmt.

Zunächst widmet sich das STAPS Team der Druckverteilung im Schuh. Roy Hinnens Ausgangslage zeigt eine ungünstige Kraftverteilung: „Der Zehendruck, der hier bei Roy im vorderen Bereich des Schuhs entsteht, ist für uns ein Indikator, dass die Einstellung nicht ideal ist,“ erklärt Johannes Pölt. Durch kleine Veränderungen an den Einlagen und minimale Anpassung an der Cleatposition wandelt sich das Druckbild jedoch deutlich: Nun werden mehr Bereiche der Fußsohle großflächig belastet. Das bedeutet nicht nur mehr Komfort, sondern auch eine bessere Kraftübertragung. Was in der Zusammenfassung schnell erledigt klingt, benötigt im Test immerhin 90 Minuten. Damit hat das Team gerade einmal eine gute Ausgangsposition geschaffen.

Nun geht es an die Druckverteilung im Sattelbereich: Roy Hinnens Sitzhöhe scheint von Beginn an gut zu passen. Auch die Anpassungen im Fußbereich brachten kaum Veränderungen im Sitzbild: Gleichmäßige, großflächige Druckverteilung und kaum Bewegung. Der Idealzustand für das STAPS-Team, denn durch eine stabile Sattelposition kann das Cockpit “aggressiver” eingestellt werden. Das wiederum kann die Aerodynamik verbessern.

Die Suche nach der aggressivsten Position ohne Komfort- und Stabilitätsverlust


Im Anschluss wird das Cockpit zunehmend aggressiver gestaltet. Dazu wird die Cockpithöhe um jeweils 2,5cm verringert. So lange, bis die Leistungs- und Druckdaten eine Verschlechterung der biomechanischen Situation zeigen. Das tiefe Cockpit erwies sich in den Tests als zu aggressiv, da hier der Hüftwinkel deutlich zu klein wird (Bild 1), was unter Umständen zu schlechterer Versorgung der Beinmuskulatur oder verminderter Laufleistung im Anschluss führt. Die mittlere Cockpitposition hingegen erwies sich als ideal für Roy Hinnen (Bild 2). 

"Diese Position lässt sich auf keine andere Person übertragen, denn jeder Sportler bringt unterschiedliche Flexibilität, unterschiedliche Beckenneigung, unterschiedliche Körpermaße mit," erklärt Jonas Kraienhorst. "Die mittlere Position ist ein guter Kompromiss. Denn im Bereich des Becken- und Hüftwinkels und auch im Verhältnis von Hüftwinkel zu Schulter wurden jeweils nur kleine Veränderungen vorgenommen, die bessere Kraftverhältnisse bei gleichem Komfort erzeugen. Je aggressiver die Position wurde, umso schlechter wurden die Druckbilder, was weniger Kraftübertragung und Komfort bedeutet.“


Was ist günstiger für Roy? Kürzere oder längere Kurbeln?


Im nächsten Schritt wird das Prozedere mit kürzerer Kurbel (170mm) wiederholt.

Nach fünf Stunden Test steht fest: Die mittlere Cockpithöhe ist für Roy Hinnen biomechanisch ideal (Bild 3). Im Vergleich zwischen längerer (175mm) und kürzerer (170mm) Kurbel sticht heraus, dass der Hüftwinkel bei kürzerer Kurbel um rund 4° offener ist, was für Versorgung und Komfort deutlich besser ist (vergleiche Bild 2 und 3).

Welche Konsequenzen dieses Ergebnis Aerodynamisch hat, das soll am nächsten Tag im Augsburger Velodrom herausgefunden werden. "Entweder haben wir einen Aerodynamikgewinn durch das tiefere Cockpit," mutmaßt Kraienhorst,“ oder aber wir haben bei gleicher Cockpiteinstellung einen offenen Hüftwinkel, der mehr Komfort gibt."

Nach der Bestimmung der Baseline geht es los: "Wir wollen sehen, wie sich das, was wir gestern im Labor eingestellt haben, auf die Aerodynamik auswirkt und anschließend Biomechanik und Aerodynamik in Einklang zu bringen," kündigt Jonas Kraienhorst an. 


Der Praxistest bringt Aufschlüsse über die Aerodynamik


Die Sattelfolie, die am Vortag das Druckbild bestimmte, zeigt auf der Bahn die Bewegung oder gar den Kontaktverlust zwischen Körper und Sattel während der Fahrt. Sobald Roy Hinnen seine Position auf dem Sattel korrigiert, wird im Graph ein Spike sichtbar. 

Die hohe Cockpitposition bei 175er Kurbel gibt im ersten Testdurchlauf mit wenig Bewegung auf dem Sattel und nur drei Spikes über knapp eineinhalb Minuten zufriedenstellende Ergebnisse. Die mittlere, vorher festgestellte biomechanisch ideale Position, brachte zwar 5 Watt Ersparnis, zeigte jedoch ein biomechanisch nicht ideales Bild. "Während des Fahrens hatte ich das Gefühl, dass ich mich deutlich mehr bewege," gibt Roy Hinnen seine subjektive Einschätzung. Die Druckmessung bestätigt das subjektive Gefühl. In gleicher Zeit sind acht Spikes zu sehen – fast drei Mal so viel Bewegung wie zuvor.

Daraufhin wechseln die Spezialisten von STAPS die Kurbel. Bei nun 170mm Kurbellänge und gleichem Cockpit sieht die biomechanische Analyse bei gleichbleibender Aerodynamik gut aus: Kaum Bewegung auf dem Sattel. „Dass wir bei kürzerer Kurbel und gleichzeitig fünf Millimeter höherer Sattelposition einen großen Stabilitätsgewinn haben und Roy sich nicht neu positionieren muss, ist für mich ein sehr interessantes Ergebnis. So einen Stabilitätsgewinn erreichen wir oft nur durch eine Cockpiterhöhung von beispielsweise zwei Zentimetern, was normalerweise die Aerodynamik deutlich verschlechtert.“ meint Jonas Kraienhorst. 


Fazit: Stabilität und Komfort sind mindestens so wichtig wie Aerodynamik


Am Ende ziehen die Experten das Fazit: "Mit sieben bis acht Watt Ersparnis konnten wir in aerodynamischer Hinsicht zwar nicht den großen Wurf landen. Deutlich war jedoch zu sehen, dass Roy Hinnens Stabilität und damit auch Komfort und Kraftübertragung bei kürzerer Kurbel und niedrigerem Cockpit am besten ist. Diese Stabilität ist in vielen Belangen wichtig. Jede Bewegung verursacht aerodynamisch ungünstige Turbulenzen oder birgt Gefahr für Druck- und Scheuerstellen. Einen Gewinn kann man in Watt zwar nicht ausdrücken, rechnet man jedoch die verlorene Kraftübertragung bei jedem Sattelrutschen zusammen, dürfte sich einiges aufsummieren."

Roy Hinnens Fazit: "Für mich bedeutet die kürzere Kurbel eine automatisch etwas höhere Trittfrequenz, wobei ich mich wohler fühle. Mir haben die zwei Test-Tage aber auch gezeigt, dass das, was ich im Labor einstelle, außen noch lange nicht auf Anhieb gut sein muss." 

Moderne Sitzpositionsvermessung schafft es, Biomechanik und Aerodynamik in Einklang zu bringen. Das erfordert umfangreiche Tests, etwas Geduld und durchaus auch eine nachträgliche Anpassung, wie Roy Hinnens unterschiedliche Testergebnisse im Labor und im Velodrom zeigen. Am Ende steht jedoch eine Position, die Aerodynamisch günstig ist und gleichzeitig dank ausreichend Komfort dauerhaft gute Leistung verspricht.


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