Im Juni vor drei Jahren führte ich ein Telefongespräch, das ungefähr so lautete:"Hallo Steffi, wir kennen uns nicht, aber hättest Du Zeit und Lust, nächste Woche mit einem zehnköpfigen Team nach Amerika zu fliegen, um das Race Across America zu machen? Ach, übrigens, wir möchten Weltrekord über 5500km fahren!" Keine Stunde später saß Steffi im Boot – oder besser gesagt, im Teambus.
Vor eineinhalb Wochen rief Steffi mich ebenso überraschend an. Sie war gestürzt und hatte sich das Steißbein gebrochen. Eine schmerzhafte Verletzung, die noch dazu von der großen Enttäuschung begleitet war, nach der Absage des geplanten RAAM-Starts in diesem Jahr nun auch noch die Ersatz-Veranstaltung zu verlieren. Eigentlich stand für mich von der ersten Sekunde an völlig außer Frage, dass ich Steffi, ebenso, wie sie die Quattra Bavariae vor drei Jahren komplettierte, helfen wollte. Das Problem war lediglich: Es waren keine sechs Tage bis zum Start und mein Radtraining war alles andere als wettkampftauglich, von meinem Material ganz abgesehen.
Karma oder Kamikaze?
Nun mag die Entscheidung, mich dem Team Steinberg Coaching anzuschließen und gemeinsam mit Gerry, Steffis Mann, die 2200 Kilometer in Angriff zu nehmen, nach außen hin leichtfertig erscheinen. Sie war es keineswegs.
Ich hatte zwar kaum Radkilometer in den Beinen, dafür jedoch so viele Lauf(grundlagen)kilometer wie seit langem nicht mehr. Daneben kann ich schlicht und einfach auf meine "Lebenskilometer" vertrauen, die ich in über 20 Jahren angesammelt habe – und das sind einige. Zu guter letzt konnte ich in den vergangenen Langstreckenrennen wichtige Punkte und Strategien für mich herausarbeiten, die für einen Erfolg entscheidend sein können: Ernährung, Routine und Ruhe. Ich ging also nicht gänzlich unvorbereitet in das Rennen, sondern nahm 20 Jahre Sporterfahrung und einen grundsätzlich guten Trainingszustand mit nach Österreich.
"Die ersten 1000 sind flach"
Nach zwei Tagen hektischer Vorbereitung zu Hause ging es am Sonntag nach Österreich. Ich hatte Steffi vor dem RAAM bewundert, wie entspannt, wie offen, sie dem gänzlich unbekannten Team gegenüber trat und ich gab mein bestes, es ihr gleich zu tun. Die Mannschaft machte es mir leicht: Sven als Teamchef hatte mich mit Jetti bereits gut nach St. Georgen gebracht. Dort traf ich auf Michael, Karsten, Stefan, Christian, Florian und natürlich Steffi und Gerry.
Die Zeit verging wie im Flug und bevor ich mich versah, standen Gerry und ich auf der Startrampe des Race Around Austria.
Wir hatten den Auftakt der Strecke bereits im Vorfeld besichtigt. Irgendjemand hatte die erste Hälfte des Rennens als "flach" beschrieben. Ich, als Flachlandfranke mit 600 Trainingskilometern in den Beinen, versuchte auf diesen Kilometern in erster Linie meine aufkommende Panik in den Griff zu bekommen (ernsthaft, flach???) und mit meinem deutlich zu klein geratenen kleinsten Ritzel die Anstiege hochzustiefeln.
Es war heiß, doch Gerry und ich waren gut unterwegs. Die Crew leistete von Beginn an perfekte Arbeit, sodass sich schnell die nötige Routine und damit auch Ruhe einstellte.
Flexibilität gefragt
Doch wieder einmal bewies sich das Ultrarennen als schwer planbar. Die hohen Temperaturen am Tag hatten schon zu Beginn eine Änderung der Wechsel-Strategie auf 60 bis 90 Minuten nach sich gezogen. Auch die längeren Turns in der Nacht mussten etwas spontaner abgesprochen werden als geplant, nachdem Gerry mit den Folgen von Hitze und später auch Schlafmangel kämpfte. Trotz alledem ging die Crew mit den Situationen perfekt um. In dem Moment, in dem es nicht rund läuft, ist das alles andere als einfach, gehen die Emotionen auch einmal in den Keller, kocht Aufregung hoch. Entscheidend ist jedoch, dass stets eine Lösung gefunden wird und es weiter geht – und das ging es...
Wir arbeiteten uns durch Tag und Nacht, Hitze, Gewitter und Starkregen in Richtung der Pässe und anspruchsvollen zweiten Hälfte des Rennens vor.
Die meiste Zeit ging es mir gut, hatte ich meine kleinen Wehwehchen, Aufs und Abs gut im Griff und genug Energie, mich bei mir selbst über meine unpassende Wahl der Übersetzung aufzuregen. Einen Anstieg nach dem anderen überwanden wir: Großglockner, Gerlospass, Kühtai, Silvretta, Faschinajoch, Fernpass, Hochkönig.
Paradoxon in der letzten Nacht
Die letzte Nacht war wie immer eine Belastungsprobe für Team und Fahrer. Erschöpfung machte einen unvorhergesehenen Teamwechsel notwendig. Die Stimmung war zunächst verständlicherweise im Keller, bevor wir alle es wieder schafften, die letzten Kilometer in den Fokus zu nehmen.
Als Fahrer freut man sich über jede genommenen Marke: Noch 300 km, noch 200 km... plötzlich erscheinen die Strecken so machbar, so bekannt, so einschätzbar – ein Kinderspiel im Vergleich zum Beginn der Reise. Und im selben Moment realisiert man, dass das Ziel noch viele, viele Stunden entfernt liegt. Ich glaube, das ist eine der schwierigsten Situationen in solchen Rennen. Die Lösung dieses Ultra-Radfahrer-Paradoxons: Weitertreten.
Denn irgendwann im Morgengrauen knattern einem vier Roller entgegen. Einer zieht eine Fahne hinter sich her und begrüßt dich freudestrahlend. Die letzten Kilometer begleitet vom RAA-Empfangskomitee – ein unglaubliches Gefühl für beide Fahrer. Noch unglaublicher ist das Zusammentreffen mit dem kompletten Team im Ziel. Das, was dann auf einen einstürmt, ist nicht in Worte zu fassen.
Ich bin vor allem dankbar. Dankbar, dass Steffi und Gerry das Vertrauen in mich hatten, obwohl ich mir selbst alles andere als sicher war, die Strecke gut absolvieren zu können.
Dankbar, dass ich sieben außergewöhnliche und tolle Menschen kennen lernen durfte, die uns, die Fahrer, im Rennen und danach perfekt betreut haben und mich darüber hinaus zu Höchstleistungen angespornt haben.
Dankbar für die Unterstützung durch meine Familie, Freunde, Athleten, die nachts sogar überraschend an der Strecke standen.
Dankbar, dass ich wieder einmal unvergessliche Momente sammeln durfte.
Fotos: Team Steinberg Coaching
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